Im Alltag, Studium oder Beruf kommt es immer wieder zu Situationen, in denen man sich Zahlen, Termine oder bestimmte Reihenfolgen merken muß. Da sind z.B. Telefonnummern, Geburtstage, Kreditkartennummern oder die IBAN, die man am besten auch ohne Handy jederzeit griffbereit hat.
Oder wir müssen eine neue PIN festlegen, eine gut merkbare Zahlenkombination für die EC-Karte, den Reisekoffer oder das Fahrradschloß.
Wir sollten schnell darauf kommen und auch nicht überall die gleiche Kombination verwenden.

Normalerweise stoßen wir mit solchen Aufgaben schnell an unsere Grenzen.

Mnemonik (auch Mnemotechnik) ist eine Sammlung von Methoden und Strategien, die dazu geeignet sind, auf solche Informationen besser zugreifen zu können. Mnemotechniken nutzen dabei den Umstand, daß sich unser Gehirn Bilder und Geschichten wesentlich leichter merken kann als reine Fakten oder Zahlen.


Um dies zu erreichen gibt es eine ganze Reihe verschiedener Methoden, die je nach Anforderung unterschiedliche Hilfsmittel bereitstellen, unser Gedächtnis effizienter zu nutzen.


Einige Beispiele für gängige Gedächtnistechniken sind:
  • Das Major-System:
    Diese Technik assoziiert Zahlen mit Bildern oder Geschichten. Auf dieser Website wird diese Technik noch ausführlich erklärt.
  • Der "Loci-Ansatz":
    Bei dieser Technik stellt man sich bestimmte Orte oder Räume vor und platziert darin Gegenstände oder Bilder, um sich bestimmte Informationen oder Reihenfolgen leichter merken zu können.
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    Die Loci-Methode wird schon von Cicero, also bereits etwa 50 v.Chr. beschrieben. In seinem Werk "De Oratore" erklärt er, wie er gedanklich den Raum eines Forums abschreitet, um sich die Punkte einer Rede merken zu können.

    Die "Loci-Methode" verdankt ihren Namen dem lateinischen Wort „loci“, also dem Plural von locus – dem "Ort". Bei dieser Methode verknüpft der Anwender die gewünschten Informationen mit bekannten Orten, bzw. Punkte einer imaginären Route. Wenn er diese im Geiste zurückverfolgt, können die verknüpften Informationen leicht in der richtigen Reihenfolge abgerufen werden.

    Um diese Methode zu nutzen, müssen Sie folgendes tun:
    • Finden Sie eine Route, vielleicht in Ihrem Haus oder dem Weg zum Supermarkt
    • Legen Sie markante Orte auf diesem Wege fest, und platzieren dort im Geiste die Gegenstände, an die Sie sich erinnern möchten
    • Wenn Sie diese Route später im Geiste abschreiten, sammeln Sie diese Gegenstände in der richtigen Reihenfolge wieder auf
    Anstatt Gegenständen können auch Referenzobjekte, z.B. Bilder oder bestimmte Handlungen an diesem Ort verwendet werden.
    Zum Merken von Zahlenreihen eignet sich besonders die Kombination mit dem unten beschriebenen Zahl-Reim-System.
  • Der "Chunking"-Ansatz:
    Diese Technik besteht darin, lange Listen oder Reihen von Informationen in kleinere Einheiten (sog. "Chunks") zu unterteilen, um sie sich leichter merken zu können.
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    Die Chunk-Technik geht davon aus, daß unser Kurzzeitgedächtnis lediglich in der Lage ist, eine überschaubare Anzahl von "Chunks", also Informationseinheiten, gleichzeitig zu speichern.
    Der amerikanische Psychologe George Armitage Miller veröffentlichte 1956 eine Arbeit mit dem Titel: "The Magical Number Seven, Plus or Minus Two", in der er beschreibt, daß das durchschnittliche Speichervermögen unseres Kurzzeitgedächtnisses auf eine Kapazität von 7 +/- 2 Informationseinheiten begrenzt ist.

    Kreditkartennummern sind beispielsweise in Vier-Ziffern-Blöcke aufgeteilt, um das Kurzzeitgedächtnis beim Abschreiben der Zahl nur mit jeweils vier "Chunks" zu belasten. Die meisten Menschen schreiben eine solche Zahl deshalb in Viererschritten ab.
    Falls ein solcher Block jedoch ein Muster oder eine Assoziation beinhaltet, wie z.B. "1234", "0000", "4711" oder "0815", so belegt dieser lt. Miller nur einen einzigen Chunk.

    Die Chunk-Technik erlaubt es uns, alle möglichen Informationen so zu zerlegen, bzw. zu gruppieren, daß wir größere "Chunks" bilden um das Kurzzeitgedächtnis damit so wenig wie möglich belasten.

  • Das Reimschema, bzw. Zahl-Reim-System:
    Das Reimschema ist eine Methode der mnemonischen Gedächtnishilfe, bei der neue Informationen mithilfe von Reimen oder ähnlich klingenden Worten gespeichert werden.
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    Reime können uns bei der Speicherung von Informationen gleich in mehrfacher Hinsicht nützlich sein. Zum einen ist allgemein bekannt, wie leicht Informationen verlorengehen, wenn diese nicht schriftlich oder anderweitig fixiert sind. Beim Spiel "Stille Post" wird eine Nachricht von Spieler zu Spieler weitergegeben, doch schon nach wenigen Übermittlungen ist der Inhalt verfälscht und Details gehen verloren.
    Ebenso verliert unser Gehirn Details, indem es über die Zeit sukzessiv vermeintlich wichtige Punkte betont und unwichtige unterschlägt.

    Eine Methode, dem entgegenzuwirken ist es, den Inhalt in Versform, als Gedicht oder Lied zu verfassen. Denn die Reimform wirkt wie ein unterlegter Prüfwert und zwingt uns, einen ganz bestimmten Duktus und dadurch die originale Textform beizubehalten. Jede Abweichung vom Original fällt sofort auf.


    Das Zahl-Reim-System macht sich einen anderen Aspekt für die Speicherung von Zahlen und den Reihenfolgen von Listen zunutze. Hierbei werden die Ziffern 0 bis 9 Wörtern zugeordnet, auf die sich der Zahlenwert reimten und die wir uns bildlich einprägen können.
    Diese Liste von Begriffen ist meist individuell gewählt, denn je wohler sich der Benutzer mit den Begriffen fühlt, desto leichter fällt es ihm später, sich an die gebildeten Assoziationsketten zu erinnern.

    Ziffer0123 456789
    NameNullEinZwoDrei VierFünfSechsSiebe(n)Acht Neun
    ReimMüll
    Schnull(er)
    Schein
    Bein
    Wein
    Zoo
    Floh
    Klo
    Mai
    Blei
    Brei
    Bier
    Zier
    Tier
    Strümpf
    Schlumpf
    Nymph(e)
    Klecks
    Flex
    Ex
    Diebe
    Liebe
    Hiebe
    Nacht
    Yacht
    Schacht
    Scheun(e)
    Coin

    Nun versuchen wir uns folgende Einkaufsliste einzuprägen:

    • 1. Butter
    • 2. Milch
    • 3. Kartoffeln

    Wir verknüpfen also die Punkte der Liste mit den Begriffen, also z.B.
    - Ein Geldschein, den man zum Verstreichen der Butter benutzt
    - Die Milch ist sauer geworden und wir kippen sie ins Klo
    - Mit den Kartoffeln wollen wir einen leckeren Kartoffelbrei zubereiten

    Diese Bilder prägen wir uns ein. Und wenn wir nun im Supermarkt unsere Liste, beginnend mit dem ersten Punkt ("Schein") durchgehen, wird uns sofort das Bild vom butterverschmierten Geldschein in den Sinn kommen.
    Da wir diese Zahlen auch der Reihenfolge nach abarbeiten, wird kein Punkt unserer Einkaufsliste vergessen werden.

    Es gibt noch zahlreiche Möglichkeiten, dieses System abzuändern oder zu erweitern. So werden die Reime (Ein = Schein, Zwo = Floh usw.) z.B. durch ähnlich aussehende Wörter ersetzt (0 = Ei, 1 = Fahne, 2 = Schwan usw.)
    Es gibt auch Methoden, die Zehnerstelle einer Zahl durch ein Adjektiv oder eine Farbe darzustellen, die den zugeordneten Begriff erweitert, der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt.

    Grundsätzlich gilt - wie für alle anderen Merktechniken auch:
    Je merkwürdiger der gebildete Satz wirkt, desto besser können wir uns später an ihn erinnern!

  • Sonstige Werkzeuge:
    Es gibt zahlreiche Werkzeuge und Methoden, die keiner speziellen Gedächtnistechnik zugeordnet werden, die im Alltag aber häufig Anwendung finden.
    So sind Akronyme als Merksätze für Aufzählungen oder Reihenfolgen vermutlich jedem bekannt, aber auch Werbejingles helfen uns (oft gegen unseren Willen), Informationen in unserem Gedächtnis präsent zu halten.
    (mehr...) Mit Akronymen hält man auf einfache Weise Begriffe fest, die einzeln schnell vergessen würden. Gängige Beispiele davon sind:
    • Ein Anfänger der Gitarre habe Eifer!
      (Um sich die Saiten einer Gitarre, E,A,D,G,H,E zu merken)
    • Mein Vater erklärt mir jeden Sonntag unsere neun Planeten.
      (Für die Reihenfolge unserer Planeten: Merkur, Venus, Erde, Mars, Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun. Hier ist sogar Pluto noch mit dabei)
    • Taucher brauchen sehr leichte Ausrüstung
      (Checkliste für Taucher: Tarierung, Blei, Schnallen, Luft, ABC)
    • MINT-Berufe
      (Sammelbezeichnung für Berufe der Studienfächer Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik)
    • SMART-Ziele
      (Akronym als Richtlinie zum Festlegen von Zielen. Diese sollen spezifisch, messbar, ausführbar, realistisch und terminierbar sein)

    Ähnlich wie Akronyme können auch Alliterationen, Akrostichons (Leitverse), Neologismen oder einfache Wortverknüpfungen verwendet werden.

    Kurze Merksätze erleichtern das Memorieren von Begriffen, z.B. in der Medizin:
    "Es fuhr ein Kahn im Mondenschein im Dreieck um das Erbsenbein. Vieleck groß und Vieleck klein, am Kopf, da muss ein Haken sein."
    (Aufzählung der Handwurzelknochen: Kahnbein, Mondbein, Dreiecksbein, Erbsenbein, großes Vieleckbein, kleines Vieleckbein, Kopfbein und Hakenbein)

    Und wahrscheinlich haben die meisten von uns schon die Fingerknöchel zuhilfe genommen, wenn es darum ging, die Länge eines Monats zu ermitteln. Auch dies ist ein einfaches Hilfsmittel, um uns Informationen besser merken zu können.

All diese Methoden haben unterschiedliche Schwerpunkte und sind natürlich auch kombinierbar.
Es gibt noch zahlreiche weitere Erinnerungsmethoden, doch diese Website möchte ich dem "Major-System" widmen.



 

Die Geschichte der Mnemotechniken reicht bis in die Antike zurück. Zahlreicher Chroniken zufolge soll Simonides von Keos etwa um 264 v.Chr. der Erste gewesen sein, der sich gezielt mit Gedächtnistechniken beschäftigt hat.
Auch der Name "Mnemonik" geht auf ein verschollenes Buch von Aristoteles, dem Mnemonikón zurück, und bezieht sich auf die Mnemosýne, der Göttin der Erinnerung und die Mutter der Musen.

Im 17. Jahrhundert beschäftigte sich Gottfried Wilhelm Leibniz mit den Prinzipien der menschlichen Erinnerungsfähigkeit. Sein Zeitgenosse Pierre Hérigone entwickelte 1634 einen Zahlencode, bei dem er sich an dem indischen Katapayadi-System (कटपयादि) orientierte. Damit war dies die erste europäische Version dieser Mnemoniktechnik.

Bis heute wurde diese oft verändert, verbessert und weiterentwickelt. So griff ihn Justus Winckelmann (alias "Stanislaus Mink von Wennsheim") auf und erschuf 1648 daraus den "Winckelmannschen Zifferncode".

Erst 1925 entwickelte Aimé Paris aus diesem schließlich den "Zifferncode nach Aimé Paris", den wir heute hauptsächlich als "Major-System" kennen.
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Nachdem der Zifferncode sich über die Jahre stets geringfügig veränderte und weiterentwickelte, gelang es Paris, den Zahlencode von der skripturalen Schreibweise der Worte abzukoppeln und stattdessen eine phonetische Zuordnung festzulegen. Damit konnten einige Schwächen der Vorgängerversionen behoben und die Übersetzung des Codes deutlich vereinfacht werden.
Bis in die 90er-Jahre des 20. Jahrhunderts wurde dieses noch als "Zifferncode nach Aimé Paris" bezeichnet.

1936 versuchte Ernest E. Wood erstmals, dieses System auch für die englische Sprache verfügbar zu machen, scheiterte aber noch an den unterschiedlichen Lauten dieser Sprache.

Carl Christian Otto beschäftigte sich parallel mit der Kunst der Gedächtnisverbesserung und veröffentlichte 1843 unter den Namen Carl Otto Reventlow sein Werk "Lehrbuch der Mnemotechnik", gefolgt vom "Wörterbuch der Mnemotechnik", das etwa 120.000 mnemonische Substitutionen für den Zahlenraum 0-999 enthielt, sowie dem "Leitfaden der Mnemotechnik für Schulen", in dem etwa 3.000 mnemotechnisch kommentierte Fakten aus Geschichts- und Geographiekursen zusammengetragen waren.
Diese Bücher dienten als Richtlinie für den Einsatz von Mnemotechnik in deutschen Schulen, und trugen so maßgeblich zur Verbreitung dieser Techniken bei.


Zu seinem Namen kam das Major-System durch den polnischen Major und Gedächtnistrainer Bartlomiej Beniowski, der Paris' System auch für die englische Sprache nutzbar machen wollte. Sein abgewandeltes System bezeichnete er in seinem 1845 erschienenen Buch "A manual for memory" als das "Major System".

Diese Bezeichnung setzte sich im englischen Sprachgebrauch durch, und wurde dann, rund 150 Jahre später, auch im restlichen Europa und sogar weltweit bekannt.